Was rechtfertigt den Einsatz einer
psychotherapeutischen Technik? 1
Christoph Kraiker
Zusammenfassung: Es wird die
These vertreten, daß der Einsatz einer psychotherapeutischen Technik
gerechtfertigt wird durch die informierte Akzeptanz seitens des Patienten.
Zunächst wird begründet, warum die Ergebnisse der empirischen Therapieforschung
für eine solche Rechtfertigung nicht ausreichen, dann werden einige Prinzipien
formuliert, denen Therapeuten gerecht werden müssen, um eine solche informierte
Akzeptanz möglich zu machen.
I
In dieser Abhandlung möchte
ich folgende These begründen: Der Einsatz einer psychotherapeutischen Technik
in einem konkreten Fall (bei einer spezifischen Person) wird gerechtfertigt
durch die informierte Akzeptanz seitens dieser Person.
Dies scheint jenen
Forderungen zu widersprechen, die der empirischen Effektivitätsforschung
zugrundeliegen. Baumann (1996, S.687)
hat es kürzlich so formuliert: „Ein „Wirksamkeitskonsens“ innerhalb der
Psychotherapiedyade ist daher nicht ausreichend, da zum Schutz der Betroffenen
(Patienten/innen) und im Interesse der Sozietät (Versicherungsträger etc.) die
Möglichkeit der Überprüfung der Wirksamkeit durch Dritte vorhanden sein muß“.
Es handelt sich hier nicht
notwendigerweise um gegensätzliche Auffassungen. Insbesondere ist auch nach der
hier vertretenen Meinung die lege artis durchgeführte empirische
Effektivitätsforschung nicht nur sinnvoll, sondern für den Fortschritt in
diesem Bereich unverzichtbar. Der scheinbare Gegensatz verschwindet, wenn man
sich verdeutlicht, daß wir es hier mit verschiedenen Entscheidungskontexten zu
tun haben, mit unterschiedlichen Begriffen der Rechtfertigung und der
Wirksamkeitsüberprüfung.
Beginnen wir mit der
Bemerkung Westmeyers (1984, S.92) „...daß Ergebnisse der Therapieforschung in
der Regel bestimmte therapeutische Maßnahmen nicht gebieten und verbieten
können, und daß deshalb ein Therapeut sein Handeln nicht durch derartige
Ergebnisse steuern lassen muß.“ Neben
den von Westmeyer angeführten Gründen möchte ich noch auf weitere offenkundige
Tatsachen aufmerksam machen:
Eine als wirkungsvoll
nachgewiesenen Technik kann bei diesem Patienten versagen oder sogar negative
Auswirkungen haben. Tatsächlich liegt
die Erfolgsrate auch der besten therapeutischen Techniken (z.B.
Expositionstraining bei diversen Angststörungen) nur zwischen 60 und 80
Prozent. Niemand wird eine erfolglose
oder schädliche Therapie nur deshalb weiterführen wollen, weil es dazu Kontrollgruppenuntersuchungen
mit positiven Ergebnissen gibt.
Eine Therapie, deren
Wirksamkeit in tatsächlich durchgeführen Kontrollgruppenuntersuchungen nicht
nachgewiesen werden konnte, kann bei diesem Patienten erfolgreich sein. Oder
anders gesagt: ein derart gescheiterter Versuch des Wirkungsnachweises ist
induktionslogisch damit vereinbar, daß die Therapie in diesem speziellen Fall
doch funktioniert. Das gleiche gilt entsprechend auch für Therapien, für die
eine (methodischen Ansprüchen genügende) Effektivitätsuntersuchung noch gar
nicht vorliegt. Man wird eine erfolgreiche Therapie nicht nur deshalb
abbrechen, weil ein derartiger Nachweis nicht existiert.
Aus der Therapieforschung
läßt sich generell nicht ableiten, mit welcher Wahrscheinlichkeit im Einzelfall
ein Erfolg eintreten wird und wie groß dieser Erfolg sein wird. Das liegt nicht
nur daran, daß Kontrollgruppenuntersuchungen lediglich Durchschnittswerte
liefern (und kontrollierte
Einzelfalluntersuchungen nicht einmal das), sondern auch daran, daß
unklar ist, wie das Ergebnis solcher Untersuchungen gedeutet werden kann.
Lassen Sie mich folgende „Problemfelder“ aufzählen:
Es gibt keine Population, für
die die Stichproben nachgewiesenermaßen als repräsentativ gelten können. Man
weiß also nicht, auf welche Populationen die Ergebnisse generalisierbar sind.
Verkündet werden die Ergebnisse als universelle und ewige Wahrheiten, aber das
ist nicht gerechtfertigt.
Es ist unmöglich, die
Inflation des Alpha-Fehlers zu kontrollieren. Das ist zwar innerhalb einer Untersuchung möglich (obwohl es oft genug nicht
geschieht), aber nicht mehr über alle (veröffentlichten und unveröffentlichten)
Untersuchungen hinweg, da die Zahl der über die Jahrzehnte hinweg und weltweit
gerechneten Signifikanztests unbekannt ist.
Und selbst wenn dies alles
nicht der Fall wäre, würde ein signifikantes Ergebnis welcher Art auch immer
doch keine Aussage darüber gestatten, mit welcher Wahrscheinlichkeit die
Nullhypothese zutrifft oder nicht. Quantitative Forschung führt mit quantitativen
Mitteln zu einem nicht quantifizierbaren Ergebnis. Auch die sog. Effektstärke ist lediglich ein
normiertes Maß der Mittelwertsunterschiede von Patientengruppen (der Begriff
Stichprobe wäre in diesem Zusammenhang wohl milder Etikettenschwindel). Die induktionslogische
Relevanz der gängigen Inferenzstatistik ist einfach ungeklärt, aber wir können
folgendes festhalten: Diese Untersuchungen demonstrieren etwas, auch wenn sich
dies nicht in einem eindeutigen Bestätigungsgrad von Hypothesen niederschlägt.
Ihr Wert liegt vor allem darin, daß sie öffentlich durchgeführt werden und
öffentlich überprüfbar sind und so jene mannigfachen Möglichkeiten der
Täuschung und Selbsttäuschung korrrigieren, die in der Abgeschiedenheit
entstehen können.
Stillschweigend vorausgesetzt
sind ferner einige dubiosen platonische Mythen.
Beginnen wir mit dem Uniformitätsmythos (Kiesler, 1966). Das
ist die Annahme, daß eine untersuchte therapeutische Technik in ihren
verschiedenen Anwendungen for all
practical purposes identisch ist. Wir wir alle wissen, stimmt dies aus
verschiedenen Gründen nicht. Und warum ist das ein Problem? Weil bei
informationsverarbeitenden Systemen das den Differentialgleichungen der
klassischen Physik zugrundeliegende Prinzip „ex similibus similia“ nicht gilt.
Man kann hier nicht einfach voraussetzen, daß Ähnliches Ähnliches erzeugt,
sondern kleinste Differenzen in den Ursachen können riesige Differenzen bei den
Wirkungen produzieren. Ob also eine untersuchte Technik in anderen Kontexten
ebenso wirkt, geht aus der Untersuchung nicht hervor, sondern müßte selbst noch
untersucht werden.
Als nächstes sei genannt der
Mythos vom standardisierten
Erkenntnissubjekt. Man setzt voraus,
daß der Adressat aller Beweise, Bestätigungen, Demonstrationen und
Rechtfertigungen immer derselbe ist, daß diese Verfahren immer auf die gleiche
Weise wirken. Aber das kann nicht stimmen. Wenn Peter unendliches Glück
erfährt, weiß er, daß es das gibt, aber für die anderen bleibt es zweifelhaft.
Wir wissen ferner, daß nach den Prinzipien der Bayes´schen Inferenz die
gleichen Datensätze bei unterschiedlichen apriorischen
Wahrscheinlichkeitsannahmen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen
können (Putnam, 1981, S.191). Wir sind uns einig, daß Daten im Lichte von
vorhandenen Hypothesen und Theorien bewertet werden; das bedeutet aber, daß sie
je nach Person unterschiedliches bedeuten.
So werden Hypothesen meist nicht aus den Daten extrahiert, sondern schon
vorhandene Hypothesen werden durch Daten überprüft. Da Hypothesen oft logisch komplex
sind, kommt es vor, daß Daten sowohl diese Hypothese als auch ihr Gegenteil
unterstützen. Zum Beispiel: Ein Patient beginnt eine Psychoanalyse. Es geht ihm
schlechter. Für den Einen ist es eine Bestätigung dafür, daß die Therapie
schädlich und die zugrundeliegende Theorie falsch ist. Für den Anderen ist es
eine Bestätigung dafür, daß die Theorie richtig ist, da sie eine anfängliche
Auflösung der Abwehrmechanismen postuliert und damit eine anfängliche
Verschlechterung der Symptomatik.
Man wird hier einwenden, daß
man eben lange genug warten muß, um eine zuverlässige Aussage treffen zu
können, aber das Problem ist, daß jedes
Ergebnis mehrdeutig ist. Konsequenterweise müßte man fordern, daß alle relevanten Daten bei
Schlußfolgerungen zu berücksichtigen seien, aber dazu müßte man alle Daten erst
auf ihre Relevanz prüfen, und dies ist natürlich unmöglich. Man kann nicht
einmal im Prinzip alle Daten auflisten, die einem Individuum oder einer Gruppe
zu Verfügung stehen, schon allein deshalb nicht, weil aus jeder Tatsache
unendlich viele andere Tatsachen folgen.
Es gibt keine formale
wissenschaftliche Methode, die ohne menschliche Werturteile und
Interpretationen erfolgreich sein kann (vgl. Putnam 1981, S. 192f). Das
standardisierte Erkenntnissubjekt existiert nicht. Vielleicht ist was dran an
der Vorstellung von C.S. Peirce, daß Wissenschaft sich konstituiert durch den
konvergierenden Konsens der wissenschaftlichen Gemeinschaft, aber eine solche
Konvergenz entsteht, wenn überhaupt, erst am Ende der Zeit und hilft uns hier
und heute nicht weiter. Hier und heute muß ich nicht der wissenschaftlichen
Gemeinschaft beweisen, daß meine Therapie funktioniert, sondern dem Patienten,
der vor mir sitzt, und es ist dessen informierte Akzeptanz, die das
Funktionieren bestätigt.
II
Es besteht jedoch kein
grundsätzlicher Gegensatz zu jener Auffassung, die etwa in der oben zitierten
Bemerkung Baumanns ausgedrückt ist. Es geht zwar hier wie dort um
Rechtfertigung, aber was gerechtfertigt soll, sind unterschiedliche Dinge. Die
Therapieforschung versucht so gut sie kann die durchschnittliche Wirksamkeit
einer Klasse von Therapieverfahren zu
demonstrieren, und zwar soweit diese aufgrund von Beschreibungen und
entsprechenden Trainings reproduzierbar sind. Daraus lassen sich, wie wir
gesehen haben, für eine singuläre Therapie, nämlich der, die ich hier und heute
mit diesem Patienten beginne, weder positive noch negative Anweisungen mit
Sicherheit ableiten.
Darüberhinaus liegen den
beiden Auffassungen unterschiedliche Definitionen von Erfolg zugrunde. Für die
Gesellschaft bedeutet Erfolg Erfüllung des Minimax-Prinzipes: im Durchschnitt
mit minimalen Kosten maximalen Nutzen zu erzielen. Das ist legitim, aber auch
dieses Prinzip liefert keine eindeutigen Kriterien sondern ist selbstverständlich
abhängig von Werturteilen. Darüberhinaus ist das bestimmt nicht das einzige Ziel der Wissenschaft und es ist
definitiv nicht das Ziel eines hilfesuchenden Individuums. Ich befürchte auch,
daß die Anerkennung dieses Prinzipes als ultima
ratio zur Selbstauflösung der Psychotherapie führen kann, da wahrscheinlich
eines Tages rein medikamentöse Behandlung den ökonomischen Interessen der
Sozietät hinreichend gerecht wird.
Darüberhinaus bedeutete dies eine Anerkennung des medizinischen Modells
nicht nur bei der Kassenabrechnung, sondern auch im Denken, und das, meine ich,
darf in der Psychologie nicht hingenommen werden. Allen gegenteiligen
Beteuerungen zum Trotz handelt es sich bei der dominanten Strategie der
Therapieforschung tendenziell doch um einen Mißbrauch
der Drogen-Metapher (Stiles & Shapiro, 1989).
Man kann gegen all das
folgenden Einwand erheben: Gewiß hat die empirische Therapieforschung ihre
Grenzen, aber nachdem alles gesagt und getan ist, ist es trotzdem das Beste was
wir haben (d.h.alle anderen Rechtfertigungsversuche sind noch anfechtbarer),
und von daher besteht kein Grund, andere therapeutische Techniken einzusetzen
als die, die sich dort bewährt haben.
Zunächst ist zustimmend
festzuhalten, daß in bestimmten Fällen nur der Einsatz einer empirisch
wohlbestätigten Therapieform legitim ist (ich komme darauf zurück), aber das
ist keineswegs immer so. Lassen Sie mich einige Punkte aufführen.
1. Jede Art experimenteller Forschung ist
fundamental konservativ; sie prüft schon formulierte Hypothesen bzw., in
unserem Fall, schon lange existierende Therapieformen. Da man offensichtlich
nicht jeden beliebigen Unsinn untersucht, besitzt man ebenso offensichtlich
prä-experimentelle Kriterien für die Entwicklung und Bewertung vernünftig erscheinender
therapeutischer Strategien. Die untersuchten Therapieformen hat man sich nicht
einfach am grünen Tisch oder im Labor ausgedacht, sondern sie sind das Ergebnis
einer oft jahrzehntenlangen Praxis durch zahlreiche Personen in vielen Ländern.
Würde man eine solche, noch nicht durch kontrollierte empirische Studien
legitimierte Praxis unterbinden, wäre es mit der Entwicklung neuer
therapeutischer Strategien vorbei.
2. Viele, vielleicht die
Mehrzahl der Patienten, die um Therapie nachsuchen, haben Problem, die nicht
als psychische Störungen im Sinne der ICD oder des DSM aufzufassen sind, und
für die meisten dieser Probleme existieren auch kein experimentell bewährten
Therapieformen.
3. Ein Patient kommt mit dem
klar ausgesprochenen Wunsch, eine bestimmte Therapie zu machen.
4. Die Therapeutin ist
aufgrund ihrer Erfahrung der Überzeugung, daß eine bestimmte Therapie ihrem
Patienten helfen kann.
Es sind nun gerade die beiden
letzen Argumente, die als unzulässig angesehen werden, denn die Patienten
kennen sich nicht aus und lassen sich leicht indoktrinieren, und die
Therapeuten können Opfer schwerer Selbsttäuschung werden. Wenn man unter diesen Umständen darauf
besteht, daß die informierte Akzeptanz durch den Patienten letztlich den
Einsatz eines therapeutischen Verfahrens rechtfertigt, dann müssen die
Therapeuten zu einem Verhalten verpflichtet werden, daß dem Patienten auch eine
informierte Entscheidung erlaubt, ob er das angebotene und dann durchgeführte
Verfahren akzeptiert oder nicht.
III
Es gibt wenigstens zwei
Zeitpunkte, zu denen Akzeptanzentscheidungen getroffen werden:
1. Zu Beginn - mit welcher
Therapie beginne ich?
2. Zu dem Zeitpunkt, zu dem
festgestellt werden kann, ob diese Therapie bei diesem Patienten sich bewährt -
sollen wir mit dieser Therapie fortfahren?
Was den ersten Zeitpunkt
(Beginn einer Therapie) betrifft, ist folgendes zu fordern:
Wenn der Patient den Wunsch
äußert nach Beseitigung oder wenigstens Linderung von Symptomen einer Störung,
für die eine in mehreren kontrollierten Untersuchungen bewährte Therapieform
existiert, dann muß die Therapeutin diese Therapie anbieten. Wenn sie eine
solche Therapie nicht selbst durchführen kann oder mag, dann muß sie darauf
hinweisen, daß solche Therapieformen existieren und wo bzw. bei wem sie
nachgefragt werden können. Dies gilt gegenwärtig wenigstens für spezifische
Phobien, Agoraphobien, Panikstörungen, unipolare Depression, bestimmte sexuelle
Funktionsstörungen und Zwangshandlungen. Selbst wenn die Therapeutin der
Ansicht ist, daß sich hinter oder neben dem präsentierten Symptom etwas anderes
verbirgt (was oft genug der Fall sein mag), so darf sie jene Information
trotzdem nicht zurückhalten. Der Patient muß die Möglichkeit haben zu
entscheiden, ob er symptomorientiert arbeiten will oder ob er mit einer anderen
von der Therapeutin vorgeschlagenen Therapieform beginnen will. Er muß ferner
die Möglichkeit haben, diese Entscheidung zu revidieren, und das bringt uns zu
dem vielleicht zentralen Punkt der Argumentation. Daß der Verlauf einer
Therapie zu kontrollieren ist, und daß man sie gegebenfalls abbrechen bzw.
modifizieren muß, ist ein Grundprinzip sowohl der medizinischen wie der
psychologischen Behandlung. Es ist dieses Prinzip, das die Rechtfertigung des
Einsatz einer therapeutischen Technik durch die informierte Akzeptanz seitens
des Patienten ermöglicht, aber genau dieses Prinzip wird in der empirischen
Therapieforschung (jedenfalls im Kontrollgruppenparadigma) mißachtet. Dort
werden die Therapien bis zum süßen oder bitteren Ende durchgezogen, und dann
macht man eine oder meherer
Nachuntersuchungen. Unter diesen Bedingungen ist natürlich eine
informierte Akzeptanz weder zu Beginn möglich (da Selbstselektion
auszuschließen ist), und auch nicht später.
Was nun den zweiten Zeitpunkt
angeht (Beurteilung einer Therapie, die schon so lange gelaufen ist, daß sie
beurteilungsfähig ist) so sind folgende Aspekte zu berücksichtigen.
Grundsätzlich ist der
wichtigste Punkt der, daß dem Patienten Gelegenheit gegeben werden muß, in
Beratung mit der Therapeutin eine Entscheidung über die Weiterführung der
Therapie zu treffen. Es wird oft eingewandt, daß selbst ein positiver Verlauf
nicht beweist, daß die Therapie bzw. die spezifische Technik für die positive Entwicklung
des Patienten verantwortlich ist. Das ist selbstverständlich richtig, aber in
der beschriebenen Entscheidungssituation irrelevant. Es wäre für den Patienten
irrational, eine Therapie nur deshalb abzubrechen, weil sich diese positive
Entwicklung nicht mit Sicherheit auf die Therapie zurückführen läßt.
Sollte zu diesem Zeitpunkt
eine negative Entwicklung sichtbar werden, läßt sich dies entweder als
Fehlschlag interpretieren, oder als eine (möglicherweise unvermeidbare) Phase,
die später noch in eine positive Entwicklung münden wird. Ich sehe hier zwei
Verpflichtungen für die Therapeuten: Im ersten Fall darf der Fehlschlag nur
dann auf den Patienten attribuiert werden, wenn sich daraus die Empfehlung für
eine andere therapeutische Vorgehensweise er
gibt. Im zweiten Fall darf
die Entscheidung nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden. Es muß
ein vernünftiger Zeitpunkt angegeben werden, an dem ein Urteil gefällt werden
kann, ob die Therapie weitergeführt, durch eine andere (ggf. auch bei einer
anderen Therapeutin) ersetzt, oder endgültig abgebrochen wird. Diese Frist muß
nicht für alle Therapieformen gleich lang sein.
Zum Schluß sei noch bemerkt,
daß andere Rechtfertigungskriterien gelten müssen bei Patienten, die zu einer
informierten Akzeptanz nicht fähig sind.
Literaturverzeichnis
Baumann, U. (1969).
Wissenschaftliche Psychotherapie auf der Basis der wissenschaftlichen
Psychologie. Report Psychologie, 21, 686-699.
Grawe, K., Donati, R. &
Bernauer, F. (1994). Psychotherapie im
Wandel - Von der Konfession zur Profession. Göttingen: Hogrefe.
Haagen, K. & Seifert, H.
G. (1979). Methoden der Statistik für
Psychologen (Band II). Stuttgart: Kohlhammer.
Putnam, H. (1981). Reason, Truth and
History. Cambridge: Cambridge University Press.
Stiles, W. B. & Shapiro, D. A. (1989). Abuse of the drug metaphor in
psychotherapy process-outcome research. Clinical Psychology Review, 9,
521-543.
Westmeyer, H. (1984). Diagnostik
und therapeutische Entscheidung: Begründungsprobleme. In G. Jüttemann (Hrsg.), Neue Aspekte klinisch-psychologischer
Diagnostik (S. 77-101). Göttingen: Hogrefe.
Anschrift des Autors (1996)
Dr. Christoph Kraiker
Universität München
Department Psychologie
Leopoldstr. 13
80802 München
email:
kraiker@uni-muenchen.de