Plaudern für den Frieden

 

Suggestive Techniken der journalistischen Sprache[1]

 

 

Christoph Kraiker

 

 

 

Zusammenfassung: Anhand von vielen Beispielen wird gezeigt, wie in Zeitungsartikeln durch die Verwendung von bestimmten Begriffen Assoziationen und Bedeutung impliziert werden können, die explizit nicht ausgedrückt werden.

 

Summary: Analysing some of the terminology of a (German) newspaper it is shown how, by using particular words, certain associations and meanings may be implied that not expressed explicitly. 

 

 

 

 

 

Meine Damen und Herren,

 

wir haben im Verlaufe dieses Kongresses eine Menge gelernt über Suggestionen und um Suggestionen geht es auch in diesem Vortrag. Ich möchte mich heute nicht um die die Theorie kümmern, sondern einfach an ein paar konkreten Beispielen zeigen, wie Suggestion funktioniert und was jeweils der Gegenstand der Suggestion ist. Ich habe mir dafür ausgesucht - und das geht ja bereits aus dem Titel hervor - Produkte des Journalismus, Sätze, die in Zeitungen vorkommen und die meines Erachtens suggestiv sind - in irgendeiner Form. Ich nehme als Beispiel eine bekannte Zeitung aus dem süddeutschen Raum, die wir der Einfachheit halber Süddeutsche Zeitung nennen wollen. Dies aus zwei Gründen: Erstens liegt sie jeden Morgen vor meiner Tür, und zweitens wissen wir, dass es Zeitungen gibt, die uns Suggestionen quasi eimerweise per Trichter einflößen. Diese Zeitung gehört nicht dazu, aber wir werden sehen, sie macht es zumindest teelöffelweise.

 

Ich hatte ursprünglich den Ehrgeiz, nur die Zeitung von heute zu nehmen, aber mir ist bald klar geworden, dass ich das nicht schaffen würde. Deshalb habe ich Beispiele aus den letzten Tagen genommen und ich werde folgendermaßen vorgehen. Ich werde Ihnen einen kurzen Text vorlesen - meist steht dabei ein bestimmter Begriff  im Mittelpunkt- und ich werde Ihnen diesen Text deuten. Mir ist bei der Vorbereitung aufgefallen, das dies Ähnlichkeit hat mit der Deutung von Symptomen oder Träumen, und Sie können dann ja erfahren, ob meine Deutungen mit Ihren Deutungen übereinstimmen.

 

Ich fange an mit der Überschrift zu einem Leitartikel. Die Überschrift lautet

 

Fujimori auf Schmusekurs

 

Es geht darum, dass Alberto Fujimori, der Präsident von Peru, mit der Opposition verhandelt. Nun ist die Frage: Was ist ein Schmusekurs? Eigentlich ist ja Schmusen etwas ganz Nettes und etwas, was die meisten von uns auch gerne tun. Ich denke, was suggeriert wird, ist folgendes, und wir bewegen uns hier auf verschiedenen Ebenen: die erste ist - es gibt so etwas wie unredliches Schmusen, d.h. man beschmust jemanden, um einen Vorteil zu erlangen, das Schmusen ist aber nicht ernst gemeint, und wenn der Vorteil erlangt ist, verschwindet man wieder. Und das ist es, was hier dem Herrn Fujimori - wohl zu Recht - unterstellt wird. Es gibt noch eine zweite Bedeutung, und wir haben es hier, wie im Traum, mit Verdichtung zu tun. Wenn die Grünen sagen „wir werden gegenüber der Automobilindustrie keinen Schmusekurs einschlagen“, dann haben wir es hier mit einer anderen Assoziation zu tun, nämlich  mit einem Schmusen, das Nachgiebigkeit, Weichheit und so weiter bedeutet, und das wollen die Grünen natürlich überhaupt nicht. Das jedoch ist nicht der Punkt, der bei Fujimori eine Rolle spielt, denn der ist bestimmt nicht weich und nachgiebig. Ein dritter Aspekt ist folgender: Es sind beim Schmusekurs häufig drei Parteien involviert, und zwar derart, dass eine Partei einer zweiten Partei vorwirft, mit einer dritten Partei Schmusekurs zu betreiben. Und das entspricht einfach der Tatsache, dass - so nett das Schmusen auch sein mag -  wenn es unser Partner oder unserer Partnerin mit einer dritten Partei tut, wir eher ungehalten sind, insbesondere dann, wenn wir diese dritte Partei überhaupt nicht ausstehen können.

 

Schmusekurs gehört im Übrigen zu einer ganzen Gruppe von Vokabeln, die desavouierenden Charakter haben. Ich komme auf eine andere Überschrift zu sprechen. Sie lautet

 

Die Sandkastenspiele der Opposition in der Rentenfrage

 

Was sind Sandkastenspiele? Das ist relativ einfach. Leute, die im Sandkasten spielen, sind erstens ziemlich klein, zweitens können die meisten von ihnen weder lesen noch schreiben, drittens ist das, was sie im Sandkasten produzieren, nicht berauschend, und viertens ist es bald wieder verschwunden.

 

Eine weitere Überschrift, wieder zu einem Leitartikel

 

Peking prügelt

 

Es geht um die Verhaftung von Anhängern der Falun Gong Sekte. Nebenbei: Auf der ersten Seite dieser Ausgabe gibt es einen Bericht über den gleichen Vorgang, nur heißt es dort nicht Falun Gong Sekte, sondern Falun Gong Bewegung, und es macht schon einen Unterschied, ob man über eine Sekte spricht oder über eine Bewegung. Nun - was bedeutet prügeln, was sind die Assoziationen zu prügeln? Es sind folgende: erstens sind Leute, die prügeln, gewalttätig, zweitens sind Leute, die prügeln, unbeherrscht und unkontrolliert, und schließlich prügelt man insbesondere dann, wenn die Argumente fehlen. Es wird also mit dieser Überschrift unterstellt - zu Recht oder zu Unrecht -, daß Peking keine Argumente mehr hat, dass es nur noch sprachlos und aggressiv reagieren kann.

 

Jetzt kommen wir zu etwas ganz anderem - ich komme auf die Politik später noch einmal zurück. Ein Artikel über die Entwicklung der modernen Universität. Die Überschrift lautet: „Wenn das Handy erst nach Monaten klingelt“. Darauf will ich hier nicht eingehen, sondern ich greife den ersten Satz des Artikels heraus

 

Seit der Wettbewerb um Geld und die besten Köpfe härter wird, haben die Hochschulen die Öffentlichkeit entdeckt. Sie geben Hochglanzmagazine heraus, organisieren Uni-Radio oder Campus-TV ...“ und so weiter

 

Der Begriff, um den es mir hier geht, ist Hochglanzmagazin. Warum ein Hochglanzmagazin? Man spricht ja auch nicht von Magazinen im Format von 20,5 mal 17 Zentimetern. Nun, das Hochglanzmagazin ist sozusagen die akademisch überhöhte Form der Hochglanzbroschüre, und Hochglanzbroschüren werden herausgegeben von dubiosen Organisationen, die versuchen, andern in irgendeiner Art und Weise das Geld aus der Tasche zu ziehen. Anlageberater und so weiter geben prinzipiell und ausschließlich Hochglanzbroschüren heraus. Nun weiß ich nicht, ob es so etwas gibt wie Mittelglanzbroschüren oder Niederglanzbroschüren, das spielt aber auch überhaupt keine Rolle. Sie werden merken: Hochglanzbroschüre ist kein Begriff, der irgendetwas aussagt über die Papierqualität oder die Drucktechnik, sondern es ist ein moralischer Begriff.  Eine Hochglanzbroschüre ist eine Broschüre, in der der Schein über das Sein siegt, und eine Hochglanzbroschüre dient dazu. die Leute aufs Kreuz zu legen, indem ein äußerlicher Eindruck erweckt wird, der im Inneren nicht eingehalten wird. Mit dem Ausdruck Hochglanzmagazin wird also unterstellt, die Hochschulen versuchten einen guten Eindruck zu machen, ohne dass es im Hintergrund etwas gibt, das diesen Anspruch rechtfertigen könnte.

 

Ein weiterer Artikel. Die Überschrift lautet:

 

Schulschwierigkeiten: Ab zum Psychologen 

 

Der Inhalt ist eine sehr vernünftige und informative Darstellung über Beratungsmöglichkeiten, die es bei Schulschwierigkeiten in der Stadt München gibt, und auffällig ist die Diskrepanz zwischen dieser Überschrift und dem durchaus angemessenen Inhalt des Textes. Nun - was bedeutet das? So weit ich das verstehe, bedeutet „ab zum irgendetwas“ selten was Gutes. Man geht „ab ins Gefängnis“, „ab in die Psychiatrie“  oder „ab ins Waisenhaus“ - es ist jedenfalls nichts Erstrebenswertes. Und daher nehme ich in der Phrase „ab zum Psychologen“ eine deutliche Entwertung der Psychologen wahr. Das ist der eine Punkt. Darüber hinaus enthält diese Formulierung auch einen Tadel und einen Vorwurf gegenüber den Eltern, denn es sollten die Eltern sein, die sich um die Kinder kümmern,  aber denen fällt auch nichts ein, und deswegen geht es mit den Kindern „ab zum Psychologen“.

 

Eine weitere Überschrift von gestern[2]

 

Bundesgrenzschutz setzt ICE-Fahrgäste wegen Überfüllung vor die Tür

 

Es geht um folgendes: Es war ein ICE von Berlin nach München zu 200% überfüllt, die Fahrleiter wollten die Personen, die die Gänge blockierten, dazu überreden, den Zug zu verlassen, die hatten aber keine Lust dazu, daraufhin wurde der Bundesgrenzschutz gerufen, und der setzte dann die Fahrgäste wegen Überfüllung vor die Tür. Im Text steht dann: „mit Hilfe des BGS gelang es, Fahrgäste zum Verlassen des Zuges zu bewegen“ - ich brauche das gar nicht weiter zu erläutern, denn die Diskrepanz zwischen diesen beiden Formulierungen ist eigentlich selbsterklärend.

 

Jetzt bewegen wir uns allmählich wieder zurück in den Bereich der Politik. Die Überschrift eines zentralen Artikels im Wirtschaftsteil lautete

 

Stimmungskanzler und Benzin

 

Was ist ein Stimmungskanzler? Die Frage ist, um wessen Stimmung es sich handelt. Es kann erstens die Stimmung des Kanzlers selbst sein. Das würde bedeuten, dass hier jemand ist, der angesichts der Tatsache, daß Stimmungen auf und ab gehen, nicht kontrollierbar und nicht vorhersehbar sind, ein Kanzler ist, der haltlos durch die Politik treibt und nicht weiß, was er eigentlich tun soll. Es kann sich aber auch um die Stimmung des Wahlvolkes handeln, oder von Teilen des Wahlvolkes, und dann würde es bedeuten, dass unser Kanzler ein Populist ist, der sozusagen immer genau das macht, wovon er denkt, dass andere es von ihm erwarten. In dem  Begriff Stimmungskanzler sind diese beiden Aspekte sozusagen verdichtet.

 

Einen Tag später - gleiche Stelle, gleiche Aufmachung - finden wir

 

Kanzler der Konzerne in Not

 

Das Problem, um das es geht, ist die Haltung des Kanzlers zur Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes. Nun - was ist ein Kanzler der Konzerne? Das kann wiederum zweierlei bedeuten. Entweder ist es ein Kanzler, der von Konzernen unterstützt, bezahlt, gekauft, bestochen oder sonst was wird, oder es ist ein Kanzler, der für die Konzerne arbeitet, aber nicht für sein Volk. Wie Sie sehen, werden in diesem einen Begriff zwei Aspekte wieder miteinander verbunden. Die Zeitung, von der ich rede, ist offenbar unserem Kanzler nicht besonders gewogen. Nun ist es aber nicht so, daß die Süddeutsche Zeitung den früheren Kanzler Kohl besonders mag. Das geht zum Beispiel hervor aus der Überschrift eines Leitartikels vom Beginn dieser Woche. Sie lautet

 

Bundesweihrauchtage

 

Im Text heißt es dann „ die Jubiläumstage zur Feier der deutschen Einheit werden zu einem Hochamt für Kohl“. Und weiter heißt es „Merkel und Merz sind Kohls Messdiener“. Und „Kohl steigt im Schutz des heiligen Nebels wieder auf seinen alten Thron zurück“. Das sind Beispiele für eine suggestive Metaphorik, die weit verbreitet ist in liberalen Kreisen, wo alle Begriffe, die mit der katholischen Liturgie verbunden sind, sich gut eignen, um die eigene Missbilligung klar zu machen. Beweihräuchern zum Beispiel bedeutet ja nicht loben oder lobhudeln, sondern es ja auch die Konnotation der Bigotterie - es ist ja nicht ernst gemeint, man meint es nicht so. Man kann also alle solche Begriffe - in einem bestimmten Milieu zumindest - dazu verwenden, um den Vorwurf des Obskurantismus und der Scheinheiligkeit nach draußen zu transportieren.

 

Zu einer ähnlichen Thematik las ich vorgestern:

 

Der Alte und seine Handlangerin

 

Der Alte ist natürlich Helmut Kohl und seine Handlangerin ist Angela Merkel. Vorgeworfen wird ihr im Text, dass sie einstimmt in die Vorwürfe von Kohl gegenüber der  SPD, die da lauten, dass die SPD die deutsche Einheit nicht nur nicht gewollt habe, sondern sie wahrscheinlich im Grunde ihres Herzens auch hintertreiben wollte. Aber - die Überschrift insinuiert, dass Merkel die Komplizin  und Mithelferin von Kohl bei seinen zahlreichen vielleicht kriminellen oder auch nicht kriminellen Manipulationen sei. Das ist allerdings ein   Beispiel, das für die Süddeutsche Zeitung eher untypisch ist.

 

Nun komme ich zu etwas, was uns alle in den letzten vierzehn Tagen sehr bewegt hat. Am 27. Sept. lautete die Überschrift eines Leitartikels

 

Plaudern für den Frieden

 

In dem Artikel wird berichtet über die Verhandlungen, die Ehud Barak und Yassir Arafat miteinander führen. Nun - was ist plaudern? Plaudern, das macht man irgendwo in einer Kneipe, an der Bar oder in der U-Bahn, man redet belangloses Zeug so dahin, ohne sich wirklich Mühe zu geben. „Plaudern für den Frieden“ insinuiert, dass dabei nichts herauskommen wird, weil die Beteiligten sich nicht wirklich anstrengen. Im Text heißt es: „Arafat begibt sich zum dritten mal ins Wohnzimmer von Barak“.... Ich habe es vor mir gesehen: die Spitzendeckchen, das Meißener Porzellan, die schnurrende Katze - und es ist völlig klar, daß in dieser Atmosphäre ein so schwieriges Problem einfach nicht gelöst werden kann. Das geht nicht bei Kaffee und Kuchen - das ist selbstverständlich. Nebenbei: mein „conscious ego“ ist sich darüber im Klaren, dass Meißener Porzellan bei den Baraks eher unwahrscheinlich ist, aber mein assoziativer Apparat besteht einfach darauf.

 

Zwei Tage später das gleiche Thema. Die Überschrift lautet

 

Die Welttournee der Friedenssucher

 

Im Text heiß es: „Für ein Gespräch ist ihnen kein Weg zu weit. Camp David, Paris, Scharm el-Scheich, sie zeigen enormen Eifer, doch Fortschritte auf diesem Gebiet lassen sich erwiesenermaßen nicht an der Zahl der zurückgelegten Flugkilometer festmachen“.

 Also - was sollen sie denn tun? Sie dürfen nicht ins Wohnzimmer, obwohl sie ja doch ziemlich nahe beieinander wohnen, sie dürfen aber auch keine weiten Reisen machen. Was steht da eigentlich dahinter? Dazu habe ich eine etwas gewagte Hypothese. Was unterstellt wird, ist, dass diese Friedensgespräche an mangelnder Organisation scheitern. Was den beiden fehlt, ist einfach ein gutes Reisebüro, das ihnen einen ordentlichen Konferenzraum zur Verfügung stellt, also nicht das Wohnzimmer, sondern irgendeinen kleinen Palast oder ein internationales Hotel am Mittelmeer, und wenn man das machen würde, dann würden auch die Gespräche funktionieren. Und was ich hier und auch bei den folgenden Beispielen spüre ist ein dahinterliegender Wunsch. Der Wunsch ist klar: Wir alle möchten, dass dieser Konflikt beigelegt wird, denn er ist für die Beteiligten gefährlich und er ist für alle anderen auch gefährlich, und wir in Deutschland wollen das auch, denn wir sind ebenfalls beteiligt an dieser ganzen Geschichte, so dass also dieser Wunsch: möge es doch vorbeigehen - sehr deutlich wird in folgenden Beispielen. Was deutlich wird, ist der Versuch, diesen Konflikt, dessen Wurzeln ja tausende von Jahren zurückreichen, zu einem normalen, managbaren Konflikt zu machen wie andere Konflikte auch.

 

Ich komme zur nächsten Überschrift

 

Blutige Krawalle gefährden Frieden in Nahost

 

Was mir auffiel ist die seltsame Diskrepanz zwischen dem Wort blutig - und es war blutig, es gab Tote und Verletzte - und dem Wort Krawall. Im gleichen Text, nur ein paar Zentimeter entfernt, werden andere Begriffe verwendet, zum Beispiel Zusammenstöße, Unruhen, Straßenschlachten, Auseinandersetzungen, und so weiter. Warum also in der dicken fetten Überschrift das Wort Krawall? Nun - Krawall bedeutet eigentlich Lärm. Krawall ist das, was Besoffene machen, oder Hooligans, oder Kinder auf dem Spielplatz, es ist ein Wort für etwas, was spontan entsteht, was zwar lästig ist, aber doch wieder von selbst vorbeigeht. Indem man so ein Wort verwendet, wird diese Auseinandersetzung auf  die Ebene von alltäglichen Vorkommnissen gehoben, um die man sich dann doch nicht weiter kümmern muss.

 

Nächstes Beispiel, gleiches Problem:

 

Pyromanen machen Politik

 

Wieder geht es um Arafat, Barak, und in diesem Fall auch Sharon. Pyromanie, also pathologische Brandstiftung,  ist eine anerkannte psychische Störung - ICD-10 Kodierung F63.1 - ich habe es extra nachgeschlagen. Was folgt aus dieser Formulierung? Es folgt, dass man diese Leute behandeln könnte, wenn man gute Therapeuten oder Therapeutinnen hätte, und dann wären sie keine Pyromanen mehr, und dann könnten  sie auch wieder vernünftig miteinander reden und die Geschichte wäre gelaufen. Man versucht auch hier - nach meiner Vorstellung - zu leugnen, dass es nicht die Personen sind, die den Konflikt vorantreiben, sondern dass es der Konflikt ist, der die beteiligten Personen vor sich her treibt, was die Lösung so ungeheuer schwierig macht.

 

Zum gleichen Thema ein Artikel über die Reaktionen auf diese Zusammenstöße in den arabischen Zeitungen. Die Überschrift lautet

 

Empörung pur

 

Nun, was ist Empörung pur? Warum nicht einfach Empörung? Empörung pur ist reine Empörung. Wir alle können uns, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, identifizieren mit den Positionen jeder der involvierten Parteien. Wir wissen, um was geht, wir spüren es auch emotional sehr stark, wir können beide Seiten sehen und fühlen. Wenn jemand Empörung pur zeigt, dann bedeutet das, dass er nur eine Seite sieht und nur eine Seite fühlt, und deswegen ist auch davon auszugehen, dass bei Gesprächen mit ihm nichts herauskommen wird.

 

Nun zum Schluss. Ich habe vorgestern in der Post die Einladung zum 16. Kongress der ISH 2003 in Singapur erhalten, auf einem Hochglanzprospekt. Wie das so üblich ist, wird die Kongressstadt angepriesen. So steht hier zum Beispiel „Singapore is renowned for its shopping, cleanliness and friendliness“, auf deutsch: Singapur ist berühmt für seine Einkaufsmöglichkeiten, Sauberkeit und Freundlichkeit. Am gleichen Tag gab es in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über Singapur. Die Überschrift zu diesem Artikel lautet:

 

Im Zeichen von Meister Proper

 

Das ist nicht ganz dasselbe, wie zu sagen, dass Singapur eine saubere Stadt ist. Die Sauberkeit von Meister Proper ist zwar sehr effektiv, und es geht auch sehr schnell, aber das, was  übrig bleibt, ist dann im Grunde unbewohnbar. Die Unter-Überschrift lautet

 

Todesstrafe für Kaugummis

 

Also ich kann Ihnen versichern, auch in Singapur werden Kaugummis nicht mit dem Tode bestraft, und Menschen, die solche besitzen oder kauen ebenfalls nicht.  Nur wenn man einen auf die Straße spuckt - so heißt es jedenfalls in dem erwähnten Artikel - wird man mit Gefängnis bestraft, ebenso, wenn man gegen die Wände von Häusern pinkelt. Und der Autor, nachdem er das referiert hat, überlegt sich, ob er unter diesen Umständen noch nach Singapur fahren soll.

Der Text geht noch weiter, und auch hier zeigt sich die Verwirrtheit des Autors, der von all dem einerseits fasziniert, andererseits abgestoßen ist.  Es heißt da: Heute ist Singapur ein riesig steriles Einkaufszentrum, ein Paradies der Warenwelt. Nun, vielleicht sehen wir uns ja in drei Jahren in Singapur, und Sie können sich bis dahin überlegen, ob Sie in ein steriles Einkaufszentrum wollen oder in ein Paradies der Warenwelt.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

 

 

 

key phrases: suggestion journalism language

Schlüsselbegriffe: Suggestion Journalismus Sprache

 

 

Anschrift des Autors:

Dr. Christoph Kraiker

Department Psychologie

Leopoldstrasse 13

D-80802 Muenchen

Germany

 

 



[1] Vortrag gehalten auf dem 15. Internationalen Kongress für Hypnose der International Society of Hypnosis - München 2. - 7. Oktober 2000. Titel des Vortrages: Suggestive Techniken der journalistischen Umgangssprache.

Die politischen Gegebenheiten, auf die sich dieser Vortrag bezog, haben sich seitdem gewandelt - nicht zum Besseren. Trotzdem wurde der Text für diese Veröffentlichung bis auf stilistische Korrekturen nicht verändert, da die beschriebenen „Sprachspiele“ gespielt werden wie eh und je.

 

[2] Der Tag des Vortrags war der 6. Okt 2000